Von Susanne Träupmann
Bonner Generalanzeiger, 23.08.2022
Bei der Freilichtbühne Alfter ist Inklusion eine Selbstverständlichkeit
Alfter Bei der Freilichtbühne Alfter stehen Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam auf der Bühne. Inklusion ist in dem Verein nicht nur selbstverständlich, sondern sogar von Vorteil und preiswürdig.
Die Trommelschläge erfolgen genau im Takt. Ihren Einsatz hat Marie wieder und wieder geübt – unter Federführung von Udo Seehausen, der seit 2002 viele Musikstücke für die Theaterprojekte der Freilichtbühne Alfter komponiert und umgesetzt hat. Marie hat Trisomie 21, auch als Down-Syndrom bezeichnet, und liebt Musik und Theater. Da verwundert es nicht, dass die 29-Jährige bei der Freilichtbühne aktiv ist, schließlich hat die Inklusion dort einen hohen Stellenwert. Marie stand im Frühjahr beim Improvisationsstück „Zukunftsvisionen“ auf der Bühne und ist nun Teil des Freilichtwandertheater-Ensembles, das derzeit das Stück „Die Seeräuberinsel“ spielt.
Auch Lina, Patrick, Jan und Jonas sind Ensemblemitglieder mit einer Behinderung. Immer wieder stellen sie ihre Talente in neuen Stücken unter Beweis: die einen in der Musik, die anderen in Theaterrollen. Während Inklusion im Theaterbereich seit mehr zehn Jahren gelebt wird, gehören Musikerinnen und Musiker mit Handicap erst seit rund vier Jahren zum Theaterorchester.
Der passende Zugang zur Musik
Das Einstudieren der Musikstücke dauert zwar ein wenig länger, weil Rhythmen und Melodie individuell vermittelt werden, ist aber von Erfolg gekrönt. „Ich muss nur wissen, wie der musikalische Zugang ist. Der kann über Buchstaben oder Zahlen erfolgen“, sagt Seehausen.
Orchestermitglied Lina kann beispielsweise keine Noten lesen. Bei ihr verwendet Seehausen für die Noten Zahlen. „Jede Melodie muss Emotionen erzeugen. Wenn diese allerdings überschwappt, greife ich regulierend durch Augenkontakt oder Körperbewegung ein“, sagt er. Jahrelang hat der 64-Jährige Musikunterricht an der Bonner Johannes-Schule erteilt, einer Waldorf-Förderschule mit den Schwerpunkten „Lernen“, „Sprache“, „Emotionale und soziale sowie geistige Entwicklung“.
Seit 2002 gibt es das Freilichtwandertheater in Alfter, seit der Inszenierung von „Ronja Räubertochter“ 2011 gehören mit Jan, Jonas und Marie Schauspieler mit Trisomie 21 zum festen Ensemble. „Bei uns sind alle gleich wichtig. Inklusion betrifft alle Menschen mit Beeinträchtigung. Im Grunde genommen hat jeder von uns etwas, was ihn behindert“, sagt Theaterpädagogin Monika Timme. Im Theater begegne man sich mit Spielfreude und Offenheit. „Dadurch kommen wir in Kontakt und lernen einander genau kennen“, so Timme.
Spielfreude und Authentizität
Probleme bei Textstellen und Dramaturgie gäbe es bei Menschen mit und ohne Handicap, erläutert sie. Besonders bei Projekten, bei denen improvisiert werde, zeige sich immer wieder die herausragende Begabung von Menschen mit Beeinträchtigung. „Mit ihrer großen Spielfreude zeigen eine besondere authentische Präsenz“, findet Timme. „Bei Schauspielern geht es weniger um intellektuelle Argumente als um Emotionalität. Das Menschsein ist bei uns das Entscheidende.“ Für Timme ist das Theater eine Art Gegenbewegung zur Exklusion – also dem Ausschluss von Menschen mit einer Behinderung.
Ein Unterschied zwischen Schauspielern mit und ohne Handicap wird nicht gemacht. „Es zählt ausschließlich die Rolle, was der Einzelne möchte und wie es sich dann im Ganzen vor und hinter der Bühne zusammenspielt“, sagt Timme. „Deshalb ist es so schwierig, über Inklusion zu sprechen. Inklusion ist für uns normal“, ergänzt sie.
Auszeichnung für das Engagment
Für ihren Einsatz erhält die Freilichtbühne am Freitag, 26. August, 18 Uhr, im Oedekovener Rathaus den Inklusionspreis 2022 des Vereins „Inklusive Arbeit Alfter“ . Das Theater ist damit der dritte Preisträger nach Einführung der Auszeichnung im Jahr 2018. Frühere Preisträger waren Paul Faßbender, Gesellschafter und stellvertretender Beiratsvorsitzender des Unternehmens Faßbender-Tenten und Vorsitzender der Faßbender-Stiftung, sowie Edeka-Mohr. Beide Unternehmen ermöglichen seit Jahren Menschen mit Behinderung feste Arbeitsverhältnisse.